Der folgende Beitrag entstand unter Zusammenarbeit mit dem Kunstmagazin Parnass und wurde in einer Spezialausgabe im Herbst 2020 veröffentlicht:
Das Thema »Kunstversicherung« gilt als eine der wenigen »späten« Produktinnovationen im Bereich der Schaden- und Unfallversicherung, da sie erst in den 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts aufgegriffen wurde. Diese Versicherungslösung sieht besondere Bedingungen zur Versicherung von Kunstwerken vor: Das sind Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien, Skulpturen, Antiquitäten wie Möbel, Silber- und Glasobjekte beziehungsweise »Collectibles«, Sammlungsgegenstände aus allen Bereichen und Epochen. Auch Pelze und Schmuck können durch diese spezielle Form der Versicherung gedeckt werden.
Risikoanalyse und -management
Ob und welche Risiken versicherbar sind und welche Instrumente und Methoden im Umgang mit dem Risiko zum Einsatz kommen, ist Aufgabe des Risikomanagements. Ein Risiko richtig zu versichern, heißt, dieses
zu erkennen, es zu bewerten und den Umgang damit genau festzulegen. Als wichtige Komponenten für die Einschätzung eines Risikos gelten der Wert einer Sache, die Gefahren, welchen diese Werte ausgesetzt sind sowie alle (finanziellen) Auswirkungen im Falle eines Schadensereignisses. Darüber hinaus sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und Häufigkeit eines Risikos von großer Bedeutung für dessen Beurteilung. Von wesentlicher Relevanz
für die Risikoanalyse sind unterschiedliche Maßnahmen der Schadenverhütung. Diese sollen den Eintritt eines Schadenfalls im Vorhinein verhindern oder seine Auswirkungen begrenzen. Bei Kunstwerken ist hier vor allem an Sicherheitseinrichtungen, Alarm- und Brandschutzsysteme oder Aufsichtspersonen zu denken; ein Restrisiko wird jedoch in jedem Fall bestehen bleiben, das wiederum den Abschluss einer Versicherung rechtfertigt.
Konservatorische Fragen
Vorrangiges Ziel einer jeden Kunstversicherung muss es sein, Schadensereignisse zu verhindern. Dabei ist es wichtig, dass der Fokus der Beratung über rein sicherheitstechnische Fragen hinaus auch all jene Aspekte mit einschließt, die den Alterungsprozess und die Lebensdauer eines Kunstwerkes negativ beeinflussen:
- sachgerechtes Handling (v.a. bei Transporten – dementsprechend sollte der Transport und das Handling von Kunst-Fachleuten wie Kunstspediteuren überlassen werden)
- optimale Lichtverhältnisse, Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit des Ausstellungs- bzw. Präsentationsortes.
- eine Präsentationsform, die durch die Konstruktion und die Wahl der Materialien allen konservatorischen Anforderungen genügt. Irreversible Schäden durch »billige« oder unsachgemäße Rahmungen sind leider bei Arbeiten auf Papier oder Fotografien sehr häufig zu beobachten.
- sollten restoratorische Eingriffe notwendig sein, sollten sie unbedingt durch einen Fachmann und entsprechend den neuesten wissenschaftlichen Standards erfolgen.
»Allgefahrendeckung«
Als »Allgefahrendeckung« bezeichnet man den Versicherungsschutz, der sich über »alle Gefahren« erstreckt. Das sind in der Regel die Zerstörung, Beschädigung, das Abhandenkommen aufgrund von Diebstahl, Einbruchdiebstahl und Raub von versicherten Sachen sowie Schäden durch unvorhersehbare und nicht abwendbare Ereignisse – es sei denn, dass diese durch die Versicherungsbedingungen ausgeschlossen sind. Dies ist die Besonderheit der Allgefahrenversicherung im Vergleich zu regulären »klassischen« (Haushalts-) Versicherungen, deren Schutz sich über eine Liste benannter Gefahren erstreckt. Explizite Ausschlüsse sind in der Regel die natürliche Alterung eines Kunstwerks oder Abnützungserscheinungen durch den täglichen Gebrauch. Auch Schäden, deren Ursache in einer falschen Präsentation oder in der Verwendung von minderwertigen Materialien seitens des Künstlers liegen, fallen unter diese Ausschlusskriterien. Neben diesen materialtechnischen Ausschlüssen ist auch der rechtliche Ausschluss der Veruntreuung/Unterschlagung zu erwähnen.
Außerhausversicherung/Freizügigkeit
Der Versicherungsschutz lässt sich auch auf mehrere Wohnsitze ausdehnen. Die freizügige Austauschbarkeit zwischen den versicherten Standorten gibt die Möglichkeit, die Präsentation der Kunstsammlung individuell zu gestalten. Die versicherten Kunstgegenstände sind weltweit im Rahmen vorübergehender Ortsveränderungen abgesichert, z.B. während einer Restaurierung, Rahmung oder Ausstellung, in einer Auktion, einer Galerie
oder als Leihgabe in einem Museum. Die dabei anfallenden Transporte gelten ebenfalls mitversichert. Diese auch als Außerhausversicherung bezeichnete Zeitspanne kann individuell vereinbart werden.
Bewertung von Kunst – »vereinbarter Wert«
Die Wertermittlung von Kunstwerken und Antiquitäten ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des Kunstversicherers. Bei der Berechnung des Versicherungswertes wird von Preisen, die auf Kunstauktionen oder am (internationalen) Kunstmarkt erzielt werden, ausgegangen. Hier ist die Expertise des Kunsthistorikers gefragt, der die einzelnen Kunstwerke dokumentiert, bewertet und – soweit das ohne restoratorische Expertise und technische Hilfsmittel möglich ist – auf eventuelle Vorschäden untersucht. Mit einer Versicherungspolizze mit »vereinbarten Werten« wählt man eine Lösung, die im Falle eines Schadens jegliche Diskussion über den Wert einer Sammlung vermeidet. Verkehrsoder Zeitwert – wie in herkömmlichen Haushaltsversicherungen als Entschädigungsbasis gewählt – oder eine eventuelle Unter- oder Überversicherung sind dadurch obsolet.
Inventar/ Einzelauflistung
Um Zweifel und Unklarheiten durch unterschiedliche, meist aber fehlende Richtlinien bei der Dokumentation von Kunstwerken und Kulturgütern zu beseitigen, wurde 1997 auf Initiative des J. Paul Getty Trust begonnen, international verbindliche Standards zu deren Beschreibung zu schaffen: die Objekt-ID (object identification). Wie sollte die Dokumentation eines Kunstobjektes entsprechend der Objekt-ID aussehen? Sinnvollerweise handelt es sich dabei immer um eine Kombination von fotografischer Dokumentation und »klassischer« Beschreibung. Neben Fotos und Detailfotos des Objekts – nach Möglichkeit mit Größen-, eventuell auch mit Farbreferenz – sollten klare und eindeutige Angaben zu folgenden Punkten gemacht werden: Art des Objekts, Material und Technik, Maße, Bezeichnungen und/oder Signaturen sowie »besondere Kennzeichen« wie Beschädigungen und Restaurierungen. Darüber hinaus sollte man versuchen, das Objekt verbal zu beschreiben, z. B. mit der Art und dem Thema einer Darstellung, man sollte es nach Möglichkeit datieren oder einer bestimmten Periode zuordnen und einen eventuell vorhandenen Titel sowie – wenn bekannt – natürlich den Künstler erfassen. Überdies sind bei der Dokumentation von Kunstgegenständen zwei wesentliche Punkte zu beachten: Das Datenmaterial zur Identifikation der Sammlungsobjekte muss sicher verwahrt werden und es ist regelmäßig zu aktualisieren.
»Deklarierter Wert«
Es kann jedoch vorkommen, dass sich Versicherer und Versicherungsnehmer nicht auf einen vereinbarten Wert einigen können. Das Kunstwerk wird dann auf Basis eines »deklarierten Wertes« versichert. Im Schadensfall muss der Versicherungsnehmer den Wert des versicherten Gegenstandes nachweisen.
Pauschalversicherung – Erstrisikoversicherung
Einzelauflistungen vorzunehmen ist bei Museen oder Sammlungen, die über große Objektmengen verfügen, oft nicht möglich. Hier bietet eine Erstrisikoversicherung für den Sammlungsbestand einen gangbaren Weg, da jeder Schaden bis zur Höhe der Versicherungssumme ohne Rücksicht auf den Versicherungswert ersetzt wird. Dabei wird das Vorliegen einer eventuellen Unterversicherung nicht angewandt.
Vorsorgeversicherung
Die Vorsorgeversicherung ist eine bedingungsgemäße Vereinbarung, durch die der eigentliche Deckungsumfang des bestehenden Versicherungsvertrages erweitert wird. Dadurch können Neuerwerbungen und eine allfällige Wertsteigerung der Kunstsammlung abgedeckt werden.
Transportdeckung – »Nagel zu Nagel«
Die Transportversicherung bietet Versicherungsschutz für Kunstwerke während deren Beförderung über das Meer, auf Binnengewässern, am Land oder in der Luft. Sie deckt nicht nur die Gefahren während des Transports, sondern auch während transportbedingter Aufenthalte und Lagerungen. Im Ausstellungsbereich sind die Begriffe von »Nagel zu Nagel« bzw. von »Standort zu Standort« gebräuchlich. Dies bedeutet, dass sie gegen alle Gefahren versichert sind, denen sie während der Transporte und des Aufenthaltes im Museum, Lager oder bei entsprechenden Leihnehmern ausgesetzt sind (beim Ab- und Aufhängen, Einund Auspacken und der Vor- und Nachlagerung). Der Versicherungsschutz beginnt in dem Moment, in
dem das Kunstwerk von seinem ursprünglichen Standort entfernt wird,
und endet erst dann, wenn es sich wieder dort befindet.
Schadenmanagement
Unter Schadenmanagement versteht der Versicherer alle Tätigkeiten, die
mit der Bearbeitung und Abwicklung von Schadensfällen zusammenhängen. Es umfasst alle Geschäftsprozesse von der Aufnahme des Schadens über die Schadensermittlung und Beurteilung des Schadens inkl. Einholen von Gutachten durch Sachverständige und Restauratoren, der Festlegung einer Wertminderung bis zur Regulierung und Auszahlung des Schadens. Darüber hinaus wird ein Kunstversicherungsexperte auch
im Falle eines Diebstahls geeignete Maßnahmen zur Wiederbeschaffung des Kunstwerks in die Wege leiten.
Versicherte Kosten
Tritt ein Schadenfall ein, werden nicht nur die Kosten einer fachgerechten Restaurierung und die eventuell verbleibende Wertminderung ersetzt, sondern auch Lagerkosten außer Haus, der Aufwand für Bergungs- und Aufräumarbeiten sowie Reisekosten für die Wiederbeschaffung in Verlust geratener Objekte.
Restaurierung bzw. Wertminderung
Nach Beschädigung eines Kunstwerks wird zunächst die Möglichkeit einer Restaurierung nach bestmöglicher Qualität erörtert. Nach Abschluss der restoratorischen Arbeiten wird die Höhe der »Wertminderung« ermittelt. Diese entsteht dann, wenn das versicherte Kunstwerk infolge eines Schadens einen geringeren Verkaufserlös erzielen wird (oder würde) als ohne Vorschaden. Die Höhe der Wertminderung wird durch Untersuchung und Einzelbewertung verschiedener materieller und immaterieller Schadensaspekte ermittelt, wie z. B. die »Beeinträchtigung der technischen und der zugewiesenen Funktion«, die »Sichtbarkeit der Restaurierung mit unbewaffnetem Auge«, die »Lage des Schadens in der Komposition«, aber auch die »Beeinträchtigung der künstlerischen Leistung« oder der »Eingriff in die künstlerische Originalsubstanz«, um nur einige zu nennen. Diese bilden in Folge die Basis für die Festlegung der prozentualen Wertminderung.
Defective Title
Gerade im Bereich des Kunstmarktes ist das Problem des gutgläubigen Erwerbs von großer Bedeutung. Grundsätzlich kann der Veräußerer dem Erwerber nur Eigentum verschaffen, wenn er selbst rechtmäßiger Eigentümer war bzw. eine Verfügungsbefugnis hatte. Unter gewissen Voraussetzungen wird jedoch das Vertrauen des Erwerbers geschützt: Er kann auch Eigentum vom Nichtberechtigten erwerben, wenn er (neben dem Vorliegen anderer Kriterien) gutgläubig ist, also nicht wusste, dass der Veräußerer nicht berechtigt war. Das Rechtsinstitut des gutgläubigen Erwerbs ist in den meisten kontinentalen Rechtsordnungen geschützt, unterliegt aber jeweils unterschiedlichen Beschränkungen. Im angloamerikanischen Rechtssystem wird das Prinzip des gutgläubigen Erwerbs nicht anerkannt. Nach internationalem Privatrecht richtet sich die Frage, welche Rechtsordnung im konkreten Fall anzuwenden ist, nach dem Recht jenes Staates, in dem die Sache erworben wurde (Anknüpfung an die »lex rei sitae«). Der Erwerber unterliegt also unter Umständen dem Risiko, eine erworbene Sache wieder zurückgeben zu müssen. In diesem Fall kann der Kunstsammler über ein englisches Deckungskonzept eine sogenannte »defective title«-Versicherung abschließen, eine Art Rechtschutzversicherung, die im Fall der Herausgabe an den rechtmäßigen Eigentümer wenigstens anteilig die anfallenden Gerichts-, Rechtsanwalts- und Sachverständigenkosten übernimmt.